Das House of Beautiful Business lädt zu “Concrete Love” nach Lissabon. Und feiert eine grandiose Party für einen höheren Anspruch an Wirtschaft und Gesellschaft.
Die Stadt Lissabon begrüßt Gäste mit unzähligen romantischen Versprechen: jahrhundertealte Palais mit keramikgefliesten Wänden, kopfsteingepflasterte Gassen voll kleiner Läden und Fischrestaurants, bunte Straßenbahngarnituren, die Hügel hinauf- und hinabzuckeln, die Hängebrücke Ponte 25 de Abril an der Atlantikmündung des Tejo, die, wie auch die Trams, ein europäisches San Francisco beschwört … und nicht zu vergessen: kleine, puddinggefüllte Blätterteigtörtchen, die Pastéis de Nata, mit ihrem sentimentalen Soundtrack, dem Fado, die einst in die Ferne aufgebrochene Entdecker in ihre Heimat zurück lockten.
Wo also am alten Kontinent ließe sich “Schönheit” besser verhandeln, als in dieser längst untergegangenen und doch so lebendigen Welt mit nach wie vor abblätterndem Pomp statt des süßlich-selbstgefälligen Kitschs, den Wien oder Paris bei gleicher Gelegenheit zelebrieren würden. Wo sonst könnte man seine Zelte aufschlagen, um die blinden Flecken eines globalen Tech-Optimismus sichtbar zu machen, der uns zwar dorthin gebracht hat, wo wir heute stehen, aber auch von vielem weg, was es fürs Glück braucht – und der trotz allem als einzige letzte Hoffnung bleibt, wenn wir auf eine Natur, die wir zerstört haben, nicht mehr zählen können?
Zum dritten Mal wählen Tim Leberecht und Till Grusche Lissabon zum Schauplatz des jährlichen Gatherings von “House of Beautiful Business” – ihres globalen Think Tanks der Sehnsüchtigen. In ihren Augen müssen der Planet, die Menschheit und ihr Motor, die Wirtschaft, in ein neues Miteinander finden; in etwas Ausgewogeneres, Ganzheitlicheres, Schöneres, wo nicht zwingend ein Aspekt das böse Schicksal des anderen begründet. Dafür laden die beiden über 100 Aktivist_innen, Denker_innen, Künstler_innen und Manager_innen aus der ganzen Welt auf eine kleine, runde Bühne in einer zum Co-Working-Space umgebauten Fabrikshalle im Gewerbegebiet Lissabons – und füllen den restlichen Space mit (gut) zahlenden Gästen. “Concrete Love” betiteln sie 2021 dieses Menü in fünf Gängen. Die Akte: I/Omission, II/Panopticon, III/Alternates, IV/Agency, V/Panspermia. Konferenz oder Theaterstück? – Wohl beides.
Die Frage “Is this your first time in the House?” begleitet mich von Freitag bis Sonntag. “Yes.” Es gibt hier im “Todos” Rookies und andere. Nicht wenige kennen einander bereits. Ich mache einzelne Gesichter aus, die mir von früheren Tech- und Trendkonferenzen in Berlin, Hamburg oder München bekannt erscheinen. Darüber hinaus: Überraschend viele Amerikaner*innen. Dies mag am Netzwerk der Veranstalter liegen, die ja selbst jahrelang in Kalifornien im Austausch waren. Die Stimmung: Offen, gelöst, ein klein wenig Bobo, kaum Business-Attitüden. Ich bin einer der wenigen alten, weißen Raucher.
Das Programm: Handverlesene Speaker*innen aus der ganzen Welt, mit teils eigenwilligen Formaten. Nicht jede oder jeder von ihnen ein Bühnenprofi, aber zu erzählen haben sie alle viel: Von der Notwendigkeit eines Wandels, vom eigenen Aufbruch, vom eigenen Hoffen, vom eigenen Scheitern, vom eigenen Erfolg. Das “Handverlesen” zahlt sich aus. Dem Gathering müssen hunderte Zoom-Calls vorausgegangen sein … und tausende Arbeitsstunden. In den Details von “Concrete Love” spiegelt sich die Liebe der Veranstalter*innen zur Materie wider. So erfüllt schon die Form von “Concrete Love” den Titel. Wie auch der Inhalt. Eine grandiose Party für einen höheren Anspruch an Wirtschaft und Gesellschaft. Sicher eine der am besten kuratierten und inszenierten Konferenzen, die ich in meinem Leben besucht habe.
Beim Schreiben dieser Zeilen bin ich retour in Österreich, auf dem harten Boden der rot-weiß-roten Realität. Im Fernsehen läuft eine Nachrichten-Sendung. Wir steuern auf einen weiteren Corona-Lockdown zu. “Concrete Love” erscheint mir seltsam fern, verträumt, wie eine laut und bunt formulierte, weichgezeichnete Sehnsucht. Ich starre ins Notebook und überlege: Was an Schönheit kann ich mitnehmen? Und wieviel Kompromisslosigkeit braucht es, um ihre eine Chance zu schenken?
(…)
Kleiner Nachtrag. Weil ich gefragt wurde – und es mich ja auch beschäftigt hat: Ja, die Wette mit der kleinen Maja ging in die Hose.
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