Wir müssen reden. Jetzt. Bevor alle Impfdosen verteilt, die 7 Tage-Inzidenzen im Keller und alle Büros wieder für alle offen sind. Weil, naja, ist eine Rollschuh-Speedbahn im Empfangsbereich jetzt wirklich, ehrlich das richtige Signal?

Entspannungszonen mit Billard- und Tischtennistischen, einladenden Massagesesseln und teuer restaurierten Flipperautomaten sind schon seit geraumer Zeit Ausrüstungsstandard, wo immer Unternehmen junge Wissensarbeiter*innen an sich binden wollen.

Big Player der Digitalbranche haben die „Fun Place to Work“-Revolution losgetreten und während der letzten zwanzig Jahre Minigolfplätze und Swimmingpools auf die Dächer ihrer Niederlassungen geklotzt, Haubenköche in ihren Kantinen installiert und Fitnesstrainer für ihre Freizeitprogramme angestellt. Zunehmend orientierte sich die Innenarchitektur trendsetzender Unternehmenszentralen am Interieur von Designerhotels. Später dann hatten Designerhotels redliche Mühe, mit dem Schick der neuesten Office-Generation mitzuhalten.

Mike Lynn
Mike Lynn

In trotziger Opposition zur modernen Zumutung, sich alle paar Jahre neu zu erfinden, übt Mike Lynn seit 1980 den Texterberuf und nur den Texterberuf aus – in allen denkbaren Formen, vom Facebook-ad über den Magazinartikel bis zum Sachbuch. 

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Google spendierte seinen Leistungsträger*innen in der Kanada-Zentrale sogar einen ausgewachsenen Indoor-Klettergarten. Bällebäder rund um Konferenztische wurden auch schon fotografiert. Gut so, denn ohne forensischen Nachweis würde man es nicht für möglich halten. Aber jetzt ist plötzlich Pause.

Corona – die Pausentaste der Bürokultur

Ein winziges Klümpchen Virus-DNA reichte, um selbst in den größten Konzernen das Unterste nach oben zu kehren. Ein volles Jahr lang schon treffen sich führende Köpfe wegweisender Unternehmen nicht mehr im Konfi III mit seinem inspirierenden Bibliotheks-Interieur, an der Marzocco-Espressomaschine in der Relaxzone oder vor der Powerjoga-Stunde im Meditationsraum. Statt dessen frequentieren sie abwechslungslose Videokonferenzen, die von ritualisierten „Can you hear me?“ – „No. Can you see me?“-Dialogen geprägt sind, und deren Teilnehmer*innen durch den Zustand ihrer Frisuren die Dauer des aktuellen Lockdowns dokumentieren.

Es ist eine Zeit des Staunens – und sollte eigentlich auch eine Zeit des Nachdenkens sein: Jetzt oder nie könnten wir uns Gedanken über die Zukunft der Arbeit, ihrer Schauplätze, ihrer Repräsentationen und ihrer Auswirkungen auf Mensch, Markt und Umwelt machen. Es gibt nämlich Fragen, über die es sich nachzudenken lohnt. Zum Beispiel:

Erstens: Was nehmen wir aus der Corona-Krise mit?

Zu lernen gab es ja viel. Zum Beispiel, dass Homeoffice in erstaunlichem Ausmaß funktionieren kann, andererseits aber Umfragen belegen, dass sich zwei Drittel der Beschäftigten trotzdem ins Büro zurücksehen. Auch, wenn es nicht mit Dach-Swimmingpool und Indoor-Kletterwand lockt. Vermisst wird vielmehr störungslose Konzentration auf die Arbeitsaufgaben, kurzwegiger Kontakt zu Team und Vorgesetzten – und generell die menschliche Nähe, von der wir ein Leben lang nicht wussten, wie schmerzlich sie uns fehlen kann. 

Was tun im Wettbewerb um die besten Köpfe?

Die gängige Faustformel der Tech-Branche lautet “Retention = Company Growth x Compensation x Happiness”, frei übersetzt: „Mitarbeitertreue ist das Produkt aus Unternehmenswachstum mal Gehalt mal Freude an der Arbeit“. Wobei die gängige Annahme lautet, dass Freude die anderen Faktoren deutlich überwiegt: Stimmen Unternehmenskultur, Arbeitsklima, Arbeitsumgebung und Jobprofil, ist der Rest zweitrangig. Es lohnt sich also, diese Faktoren bewusst zu kontrollieren. Viele Unternehmen kontrollieren sie entweder zu wenig – oder manisch überschießend. Merke: Bunte Sitzsäcke und ein Tischtennistisch stehen vielleicht am Ende der Bemühungen um das Arbeitsklima. Wertschätzung, Vertrauen, Sinnstiftung und Handschlagqualität müssen am Anfang stehen und sind, sorry, ohne Alternative.

Wieviel Motivation ist zu viel Motivation?

Manisch überschießende Spasskultur am Arbeitsplatz ist für alle Beteiligten verführerisch:
Wer sich am Arbeitsplatz angenehmer verwöhnt und besser unterhalten fühlt als daheim, schaut auch nach Sonnenuntergang nicht auf die Uhr, sondern auf die nächsten Punkte der Taskliste. Das fühlt sich an wie Work/Life-Balance, ist aber das Gegenteil davon. Im Extremfall entsteht ein sektenähnlicher, in jeder Lebenslage mitreißender Zusammenhalt einer eingeschworenen Crew, die vom Frühstückscroissant über die mittäglichen Meditationsübungen und das gemeinsame Gourmetdinner bis zum Absacker danach von Höchstleistung zu Höchstleistung eilt und dadurch selbst die absurdesten Investitionen in Lebensqualität am Arbeitsplatz hoch rentabel scheinen lässt.

Das Wort „scheinen“ ist bewusst gewählt, denn die hässliche Kehrseite der Medaille ist der beschleunigte Burnout der besten Kräfte: innere Batterie leer, Beziehung an den vielen Überstunden gescheitert, Sinnkrise, Substanzprobleme, innere Kündigung … – Abgang. Bevor ein Unternehmen diese beschleunigte Abnutzung seiner besten Kräfte und die damit verbundene laufende Vernichtung von Wissenskapital achselzuckend als Reibungsverlust zur Kenntnis nimmt, solle es sich fragen, ob der atemlose Sprint der Gründerjahre eine langfristig tragfähige Basis für ein Geschäftsmodell ist – oder ob der Lebenszyklus eines Unternehmens nicht eher auf den Sieg im Marathon ausgelegt sein sollte.

Bällebad.
Passen die Bälle, Schaumstoffwürfel, Strickleitern und Rutschen wirklich ins Bild?
Und was erzählt unser Büro eigentlich über uns?

Falls Sie auch eine Wanne voll Schaumstoffwürfel im Besprechungszimmer haben – setzen Sie sich bitte hinein, machen Sie es sich bequem und füllen Sie eine Mindmap mit Begriffen, die Ihr Unternehmen beschreiben sollen. Verlässlich? Vertrauenswürdig? Seriös? Realistisch? Problemfokussiert? Lösungsorientiert? Nachhaltig? – Wetten, alle diese Begriffe tauchen auf? Und wenn Sie danach die Schaumstoffwürfel betrachten, in denen Sie baden – passen die eigentlich ins Bild?

Nur ein paar Fragen. Weil wir gerade Zeit zum Nachdenken haben.

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Foto 1: Unsplash | Slidebean.
Foto 2 (Mike Lynn): Elisabeth Koschier.
Foto 3: Unsplash | Duangphorn Wiriya.

Kommentare an: Spielplatz Büro: Nice oder …?

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