Anna Wohlesser und Gerhard Hochreiter von dwarfs and Giants begleiten Organisationen dabei, zukunftsfähiger zu werden. Warum es hier Mut zum Experiment braucht, schildern die beiden im Interview.

Was benötigt eine Organisation, um zukunftsfähig zu sein?

GH: Sie muss auf jeden Fall „responsive“ sein, also schnell auf Veränderungen reagieren können. Dazu braucht es andere Sensoren als bisher. Die meisten Organisationen sind im Autopilot-Modus unterwegs – sie haben nur einen kleinen Ausschnitt der Welt im Fokus. Eines ist klar: Je verzweigter die Antennen, je früher sich eine Organisation auf Krisen, auf politische oder wirtschaftliche Verwerfungen einstellen kann, desto besser kann sie diese meistern.

AW: Organisationen müssen Komplexität denken und erfassen können und dabei handlungsfähig bleiben. Hier gilt es, breiter zu werden und mehr Perspektiven einzubeziehen, indem man die Intelligenz, Erfahrungen und Wahrnehmungen möglichst vieler Mitarbeiter:innen verstärkt nutzt oder etwa Kund:innen und Mitbewerber:innen einlädt, um über Herausforderungen nachzudenken. Damit kommt man weg vom Mainstream-Denken und bringt Diversität in die Organisation. Ganz konkret machen hier intelligentere Entscheidungsformate einen deutlichen Unterschied.

Und was versteht ihr unter intelligenteren Entscheidungsformaten?

GH: In vielen Organisationen werden Entscheidungen immer noch sehr hierarchisch getroffen: Die Informationen, die es dafür braucht, werden nach oben getragen, dort wird entschieden und dann wird die Entscheidung nach unten gespielt, zur Umsetzung. Intelligentes Entscheiden hingegen bedeutet, dass dort entschieden wird, wo die Entscheidungen wirksam werden, also dezentral. Organisationen sollten Teams befähigen, autonom Entscheidungen treffen zu können.

„Es braucht Möglichkeiten und Strukturen, damit sich die Menschen mehr als bisher einbringen können, damit sie aktiver und agiler denken und handeln können.“

AW: Wichtig ist dabei, vom Schwarz-Weiß-Denken, vom „richtig” oder „falsch” ein Stück weit wegzukommen. Bei gewissen Entwicklungen lässt sich heute nicht wirklich vorhersagen, in welche Richtung sie gehen. Das heißt, dass es möglich sein muss, einen Weg einzuschlagen im Sinne von „safe enough to try“. Wir müssen uns von perfekten, ewig gültigen Entscheidungen verabschieden.

GH: Oft werden Entscheidungen von Manager:innen sorgfältig abgewogen und dann müssen sie perfekt sein. Aber in unseren instabilen Zeiten wissen wir schlichtweg nicht mehr, was die Zukunft bringt. Darum ist es besser, etwas auszuprobieren, zu evaluieren, daraus zu lernen und immer wieder anzupassen.

Was bedeutet das für die Strategiearbeit von Organisationen?

AW: Traditionell ist es so, dass sich wenige Menschen ein paar Tage einsperren, eine Strategie entwickeln, die fünf Jahre halten soll und diese dann der Organisation mitteilen. Wir sind davon überzeugt: Strategiearbeit ist ein Prozess – wir sprechen von Stategizing – in dem regelmäßig mehrere Menschen aus unterschiedlichen Bereichen der Organisation zusammenkommen, ihre Beobachtungen teilen und dann kleine strategische Schritte gemeinsam vereinbaren, die jederzeit abänderbar sind, um agiler agieren zu können.

Sind Organisationen bereit für diese dynamischen Strategieprozesse?

GH: Ja, weil immer mehr Verantwortliche erkennen, dass sie selbst der Flaschenhals sind in ihrer Organisation, wenn sie nach einer perfekten Strategie suchen, während sie der Mitbewerb links und rechts überholt. Viele sind sich dessen bewusst, dass die Herausforderungen heute so komplex sind, dass nicht mehr eine:r allein oder eine kleine Gruppe den Kurs bestimmen kann.

„Viele sind sich dessen bewusst, dass die Herausforderungen heute so komplex sind, dass nicht mehr eine:r allein oder eine kleine Gruppe den Kurs bestimmen kann.“

AW: Ich merke auch, dass es heute ein Bewusstsein gibt, dass die alte Führungskultur ausgedient hat, in der ganz oben entschieden und darunter abgearbeitet wird. Außerdem gibt es in vielen Branchen eine wirtschaftliche Notwendigkeit, ein adaptiveres Setup zu entwickeln. Was besonders wichtig ist und da gibt es noch viel Handlungsbedarf: Es braucht Menschen, die dieses neue Setup leben – die können dies nur, wenn sie ihre Organisation darin fördert und unterstützt.

Wie kann diese Unterstützung aussehen?

AW: Es braucht Möglichkeiten und Strukturen, damit sich die Menschen mehr als bisher einbringen können, damit sie aktiver und agiler denken und handeln können. Das erfordert eine neue Führungskultur, die die Mitarbeiter:innen einerseits in ihrer Eigenverantwortung und in ihrer Weiterentwicklung stärkt und ihnen andererseits Zugehörigkeit und Sicherheit vermittelt – hier gilt es, eine gute Balance zu finden. Dazu kommt: Die Menschen müssen verstehen, warum etwas passiert, wohin die Reise geht, was die großen Herausforderungen sind. Für agile Organisationen ist eine regelmäßige und klare Kommunikation unabdinglich.


Beim 24butterfly Festival zeigen Anna Wohlesser und Gerhard Hochreiter in ihrer Keynote detailliert auf, was zukunftsfähige Organisationen auszeichnet. Gemeinsam mit ihrem Kollegen Björn Rabethge leitet Anna Wohlesser auch einen Workshop, in dem neue Entscheidungsformate ausprobiert werden können.

Gerhard Hochreiter hat nach Jahren als Sozialarbeiter, Soziologe, Lektor, Coach und systemischer Berater 2015 dwarfs and Giants mitgegründet. Anna Wohlesser ist seit sieben Jahren mit an Bord und kann auf vielfältige Beratungserfahrungen zurückgreifen – vom Ministerium über das basisdemokratische Zirkuskollektiv bis zum Stahlunternehmen.

Programm + Tickets: https://24butterfly.com.

Gerhard Hochreiter
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Anna Wohlesser
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Björn Rabethge
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