Im Rahmen von Living Organisations denkt Guido Fiolka gemeinsam mit seinem Team Organisationssysteme neu und setzt diese auch in die Praxis um. – Im Interview spricht er über seine Philosophie und über reale Erfahrungen.
Wofür steht der Living Organisations Ansatz?
GF: Für Organisationen, die nicht nur Erwerbs-, sondern vor allem auch Lebensraum sind für Menschen, die also die menschlichen Grundbedürfnisse in den Mittelpunkt stellen. Es ist doch so: Menschen brauchen Gemeinschaft, wollen gemeinsam sinnvollen Tätigkeiten nachgehen, Werte schaffen, in der Gruppe wachsen und sich weiterentwickeln. Dafür braucht es lebendige Organisationen, die wir komplett neu denken müssen.
Warum komplett neu denken?
GF: Die Organisationsform, die wir heute gemeinhin haben, stammt aus dem 19. Jahrhundert. Die Hierarchien und Befehlsketten wurden damals vom Militär übernommen. Für die damalige Zeit des Maschinenzeitalters machte das durchaus Sinn, aber heute braucht es intelligentere Systeme, in denen Menschen gut und gerne arbeiten können und mit denen Unternehmen und Institutionen besser auf sich ständig ändernde Rahmenbedingungen und komplexe Fragestellungen reagieren können. Und dadurch auch „agil“ sind.
„Die Organisationsform, die wir heute gemeinhin haben, stammt aus dem 19 Jahrhundert. Es braucht intelligentere und lebendigere Systeme, in denen Menschen gut und gerne arbeiten können.“
Was zeichnet diese lebendigen Organisationen aus?
GF: Da gibt es zwei wesentliche Dimensionen, die lebendig und intelligent gestaltet werden wollen: die Kultur und die Struktur. Die Kultur stellt die Menschen in den Mittelpunkt der Organisation und nimmt Bedacht darauf, wie sie miteinander umgehen und kommunizieren, sodass sie ihr Potential entfalten können. Eine Kultur braucht jedoch auch eine strukturelle Basis, eine Ordnung, die dem System Form gibt. Die Veränderung von Kultur und Struktur geht daher Hand in Hand.
Wie ist diese lebendige Ordnung gestaltet?
GF: Sehr dynamisch, als intelligentes, sich selbst steuerndes und ständig veränderndes System. Ich komme ja ursprünglich aus der IT, da sind technologische Netzwerke schon lange in Gebrauch. Das Internet ist so ein System, es hat einen hohen Ordnungsgrad mit bestimmten Vorgaben, ist aber gleichzeitig sehr flexibel sind und bietet viel Freiraum. Neuronale Netze sind ebenfalls ein gutes Beispiel dafür. Die Natur ist hier Vorbild, etwa das Myzelgeflecht von Pilzen, das unter der Erde riesige und weit verzweigte Netzwerke bildet. Pilze sind neben den Bakterien die ältesten und erfolgreichsten Lebensformen, die es auf unserem Planeten gibt. Die Paradigmen und Merkmale intelligenter Netze haben wir im Living Organisations Modell berücksichtigt. Das daraus entstandene Framework haben wir in einigen Organisationen dann erfolgreich umgesetzt – vor allem in mittelständischen Betrieben.
Wie sieht so eine Living Organisation konkret aus?
GF: In einer Living Organisation gibt es „Service-Teams“ mit bis zu zwölf Menschen, die autonom und vernetzt ihre Aufgaben und ihre Rollen regeln. Die Leute wissen schließlich selbst am besten, wie man optimal zusammenarbeitet, weil sie am nächsten dran sind an ihrer Arbeit und an ihrem Purpose. Diese Teams können sich zu übergeordneten Einheiten, zu Teams of Teams zusammenschließen. Wir nennen das Cluster und diese Cluster wiederum können sich zu Domains verbinden. Jede Einheit wählt einen Sprecher oder eine Sprecherin, der bzw. die koordinierende Funktion hat und die Kommunikation mit den anderen Einheiten übernimmt. Wichtig dabei ist: Die Teams können sich nach Bedarf verändern, sich vergrößern oder verkleinern, sich mit anderen Teams zusammenschließen, je nach Größe und Komplexität der jeweiligen Aufgabe. So ein dezentral gesteuertes, sich selbst regelndes System ist weitaus lebendiger und intelligenter als eine starre hierarchische Ordnung. In diesem pulsierenden System gibt es für jedes Organisationsmitglied außerdem einen Fixpunkt, eine Homebase-Einheit, in der Themen wie Gehalt, Urlaub, Weiterbildung etc. angesiedelt sind.
Das klingt tatsächlich neu gedacht. Gibt es große Widerstände bei der Umsetzung dieses Modells?
GF: Ja klar, jede Menge. Viele Mitarbeiter:innen sind anfangs unsicher, ob das Ganze funktioniert.. Vor allem unter Führungskräften gibt es Skepsis, unter anderem deshalb, weil sie in einer lebendigen Organisation erst einmal ihre Rolle und die damit verbundenen Statussymbole verlieren und sich neu orientieren müssen. Darin liegt aber die große Chance und Verbesserung. Es ist so, dass kollektive Intelligenz erfolgreicher ist als ein System von einzelnen überlasteten Manager:innen, die für alles verantwortlich sind – die fachliche und personelle Führung, das Budget, die Strategie und und und. Mit der Zeit steigt die Zustimmung jedenfalls immer stark. Die Menschen schätzen die neue Form der Organisation und Zusammenarbeit und die Performance der Betriebe steigert sich nach einer gewissen Anlaufzeit deutlich, das zeigen alle unsere bisherigen Kundenprojekte.
Guido Fiolka war lange Jahre Manager und Gründer von IT-Unternehmen. 2003 startete er das Coaching Center Berlin und 2016 rief er Living Organisations ins Leben. In seiner Keynote beim 24butterfly Corporate Karisma Festival schildert er, wieso Hierarchien keine Zukunft mehr haben und wie sich lebendige Netz-Organisationen gestalten lassen.
Programm + Tickets: https://24butterfly.com.
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