Schönheit, die weh tut. Oder die ganz persönlichen Notizen eines The___dream-Tänzers.
Der Ort Sintra verspricht Liebreiz und Romantik, möglicherweise sogar deren aufgetakelten Bruder, Kitsch. In die Hügel oberhalb Lissabons zogen sich ab dem 18. Jahrhundert Reiche und Sehrreiche in Villen zurück, die kleinen Palästen gleichkamen, mit blumigen, mediterranen Parkanlagen und einer spektakulären Aussicht auf den Atlantischen Ozean. Hier wurden Entscheidungen gefällt, Kunstwerke geschaffen, Gedanken gefasst und Feste gefeiert, bei denen mensch sich Genüssen der besonderen Art hingab. Die Gegend am Fuße blieb un-besonders, argrarisch geprägt ärmlich.
Anfang Juni lud das House of Beautiful Business für sein Gathering drei Tage in dieses geschichtsträchtige Idyll, genauer in die Villa da Bella Vista, die einst dem schon zu Lebzeiten prominenten Sherlock-Holmes-Autor Sir Arthur Conan Doyle gehörte und heute bei passenden Gelegenheiten als Paradies auf Zeit dient. Atemraubend, hier anzukommen, der Sog in eine unwirkliche Telenovela, in einen Traum. Und so war wohl auch der Name des Festivals schnell gefunden: “The___dream“. Als Liebeserklärung an einen besonders schönen Flecken, um über den notwendigen Wandel von Wirtschaft und Wirtschaften nachzudenken.
Orte machen etwas mit ihren Besucher:innen. Und dieser lässt mich verunsichert zurück: Stehen wir nicht vor den größten Herausforderungen, möglicherweise der Menschheitsgeschichte, die wir, so wie es aussieht, kaum ohne irreparabele Schäden zu hinterlassen, bewältigen können? Sind wir nicht letztlich hier, um besser zu verstehen, wie sich eine wohlständige Zukunft überhaupt noch denken lässt, ohne sich am Buffet der Zynismen bedienen zu müssen?
Und dann dieser paradiesische Traum? “Er hält uns einen Spiegel vor”, sagt eine Hamburger Startup-Beraterin, die ich schon beim letzten House of Beautiful Business-Gathering kennenlernen durfte. Und vermutlich hat sie recht: Wir sehen hier besonders schmerzhaft, dass wir für viele Zustände verantwortlich sind, durch unsere Ansprüche, unseren Lifestyle und unsere eigennützigen Entscheidungen. Und auch, was wir – vielleicht – verlieren werden, wenn wir so nicht weiterspielen dürfen.
(Wie ist das wohl für die ukrainischen Künstlerinnen, die engagiert wurden, um “ihrem” Thema Platz zu schenken? Sie dürfen intervenieren, die Konferenz “stören”, so wie der Überfall auf ihre Heimat unseren Post-Covid-Aufschwung beschattet hat. Sie sehen sich als Botschafterinnen, um Awareness zu stärken. Doch während sie im Paradies am Pool turnen, stecken ihre Brüder in Stellungen an der Frontlinie fest.)
Diese Gleichzeitigkeit von Traum und Realität schmerzt. Klimakatastrophe, Kriege und Völkermorde, kapitalistische Ausbeutung, geopolitische Schachzüge, Erosion demokratischer Strukturen, Biodiversitätsverlust und Gefahren Künstlicher Intelligenz … alles menschgemacht. Vieles davon, um unseren Wohlstand zu befeuern. Und selbst sitzen wir im Paradies, in einer Bubble, und machen uns auf vorbildlichem Diskurs-Niveau bewusst, dass es kaum Auswege gibt, ohne Materielles loszulassen. Wie können unsere Villas da Bella Vista da “schön” bleiben? Wohl nur, indem wir lernen, die Schönheit von Momenten, von Beziehungen, von Natur mehr zu schätzen. Die Schönheit, etwas zu schaffen oder zu betrachten oder zu genießen. Die Schönheit, Zeit für uns und jene zu finden, die wir lieben und schätzen.
Ja, das klingt kitschig. Definitiv.
Und konkret? – “The___dream” verspricht keine greifbare Antwort, eher schon ein erstes Gefühl, wie es als Gemeinschaft anders sein könnte – noch ganz ohne Verzicht. Und doch höre ich bei Gesprächen häufiger, dass wohl das “System” zu hinterfragen sei. Der Ast, auf dem wenige sitzen und viele hängen. Und ein solcher Schub steht gefühlt an. Im Idealfall allerdings, ohne die kreative Kraft des Wettbewerbs zu bremsen. Es wird an Innovationen liegen, die Welt zu retten. Doch an kritischen Stellen braucht es klare staatliche – globale – Leitplanken, zumal freie Marktteilnehmer:innen von sich aus nicht uneigennützig handeln können. Und sich auf ein bewusstes Intervenieren kritischer Konsument:innen zu verlassen, dürfte tückisch sein. Der Wertewandel geht zu langsam vor sich. Also erst die Regeln, dann das Umdenken. Das muss kein grausames Diktat sein: Es gab in der Menschheitsgeschichte unzählige Errungenschaften, die gegen den Willen von Mehrheiten realisiert wurden und heute von allen als Segen gefeiert werden. Der sanfte Zwang zum Glück wäre dann wohl ein romantisches Biest …
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