Mit steigender Beliebtheit des „Design Thinking“-Instrumentariums zogen Personas in fast alle Gestaltungsprozesse ein. Ihre Aufgabe: die Empathie zum Blühen bringen. Wie liefern sie Impulse für die Unternehmenskulturarbeit?

Charaktere erfinden bereitet Freude, keine Frage. In meinen Strategieworkshops zählt der Agendapunkt „Personas“ stets zu den unterhaltsamsten, seit diese in Marketing-, Kommunikations- und Service-Konzepten die klassische Zielgruppendefinition ablösen. Gleich Drehbuchautoren reizen die Workshop-Teilnehmer ihre Phantasie aus, um lautere Motive, verfestigten Frust und dunkle Geheimnisse ihrer Protagonisten zu durchleuchten. Die gesammelten Mutmaßungen strapazieren Kundenklischees aller Art, Lacher sind garantiert.

Personas entstammen der „User Centered Design“-Philosophie und verkörpern prototypische Anwender/innen. Skizziert in einem Profil, angereichert mit Biografischem, Soziografischem, Psychografischem (sogenannten „Insights“), Consumer Moodboards und (wenn halbwegs seriös angegangen) Zahlen aus Statistik und Marktforschung, dienen sie als Gestaltungs-Vis-à-vis „aus Fleisch und Blut“, um die Empathie anzukurbeln, die es braucht, wenn man Nützliches oder Attraktives für Menschen entwickeln möchte, die man persönlich eher oberflächlich kennt und die sich in einer Ära individueller Lebensstilentwürfe mit „männlich, 40, Hochschulabschluss, 50.000 brutto Jahreseinkommen“ schwer fassen lassen.

Was nun für Kunden und ihre „Journeys“ und „Touchpoints“ so prächtig funktioniert, könnte doch genauso unternehmensinterne Empathie zum Blühen bringen? Die Frage ist berechtigt – und nicht neu. Wer Google bemüht, um nach „Employee Personas“, „Candidate Personas“ oder „Talent Personas“ zu suchen, findet entsprechende Ansätze. Doch ist sie auch beantwortet?

Informationen sammeln und vertiefen

Retour zum Einstieg. Wer Personas als lustige Behübschung einer vordergründig-schlüssigen Herleitung kreativer Konzepte (miss-)versteht, streut sich selbst (oder seinen Auftraggebern) Sand in die Augen. Wir alle neigen dazu, nachträglich Argumente für Ideen zu suchen, die wir favorisieren und auf Gedeih und Verderb umsetzen wollen. Exakt diesen blinden Fleck versucht „User Centered Design“ auszuhebeln. Nicht die Gestaltersicht zählt, sondern die des Nutzers. Doch gelingt das in der Praxis? – Mitnichten. Häufig vermengen Personas Ist- und Wunschszenarien, kommen der Realität wenn, dann nur als „Educated Guess“, nah, meist schwach validiert – und noch seltener quantifiziert oder priorisiert. Was einer ersten Annäherung genüge tut, taugt nur leidlich als solide Basis für mehr.

Nun bieten interne Öffentlichkeiten eine Chance, die man kundenseitig selten vorfindet: die einer weitgehenden Vollerhebung. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind in der Regel gut abgrenz- und erreichbar. Einem bunten Ad-hoc-Charaktererfinden, so fröhlich es mit eigenen Kollegen im Fokus auch ausfallen würde, sollte eine fundierte Bestandsaufnahme vorausgehen: Fragenkatalog, anonymisierte Online-Survey, Typencluster. Aufbauend auf den gesammelten und verdichteten Daten steht dem Personas-Design anschließend nichts entgegen.

Welche Informationstiefe braucht es, um eine interne Öffentlichkeit in fünf bis zehn Employee Personas zu repräsentieren? Hier konkurrieren zwei Schulen. Die eine plädiert für eine grobe Skizze, um der Phantasie Spielraum zu geben (und mit wenigen Personas auszukommen), die andere setzt auf Detailreichtum und ein ein vieldimensionales Bild. Im Endeffekt wohl Geschmackssache. Persönliche Erfahrungen sprechen für einen Einstieg mit wenigen, knapp beschriebenen Personas und eine iterative Weiterentwicklung der Gruppe. So wächst und formt sich das Set von Gestaltungsprozess zu Gestaltungsprozess und wird dabei zunehmend vertrauter.

Sukzessive runden Antworten auf die unten gelisteten Punkte das Bild ab. Ein Mix aus „privaten“ und „beruflichen“ Informationen ermöglicht es, Wechselwirkungen der Sphären zu identifizieren:

  • Alter
  • Geschlecht
  • Muttersprache
  • Religion
  • Familienstand
  • Formale Ausbildung
  • Private Wohnsituation
  • Weg zum Arbeitsplatz
  • Hobbys/Leidenschaften
  • Werte
  • Private Ziele
  • Skills
  • Zugehörigkeit zum Unternehmen
  • Unternehmensstandort
  • Formale Rolle im Unternehmen
  • Informelle Rolle im Unternehmen
  • Identifikation mit Unternehmen/Marke
  • Brutto-Jahreseinkommen
  • Einstellung zu Leistung
  • Verhalten als Vorgesetzte/r
  • Verhalten gegenüber Vorgesetzten
  • Verhalten gegenüber Kollegen
  • Karriereziele
  • Beweggründe zu bleiben
  • Beweggründe zu gehen
  • Konkrete Painpoints


Ergänzt um einen Namen, ein Porträtfoto sowie eine kurze, persönliche Story enthüllt sich die Persona. Dabei sind Stereotype so gut dies geht zu vermeiden, was glattgebügeltes Bildmaterial aus Shutterstock & Co eigentlich verbietet. Wer die Möglichkeit findet, fotografiert selbst. Je authentischer, desto greifbarer.

Wechsel in den Blickwinkel

Nehmen nun die niemals final entwickelten Employee Personas fiktiv an Workshops und Konzeptarbeiten teil, formulieren sie einzeln und subjektiv Bedürfnisse und Anliegen:

  • Welche Anreize braucht es, um uns für eine laufende Weiterbildung zu motivieren? Bevorzugen wir konkrete Formate? Wie finden Neuland-Themen Anklang?
  • Wie sieht für die Wissensarbeiter/innen unter uns der produktivste Büro-Arbeitsplatz aus? Wer sucht Ruhe, wer Austausch, wer Inspiration?
  • Welche Erwartungen müssen Unternehmensveranstaltungen, etwa den jährliche Betriebsausflug, erfüllen? Was benötigen wir, um am Gemeinschaftserlebnis teilzuhaben?
Beispiel-Persona
Beispiel-Persona, visualisiert mit dem Service-Design-Tool Smaply. | Foto: Scopio.

Die Liste potenzieller Fragen füllt Arbeitstage, wenn nicht -wochen. Für eine arbeitnehmerfreundliche Ausrichtung der Organisationskultur braucht nicht jede davon beantwortet werden. Doch konsequent durchgespielt, schenken markant entwickelte Personas „People & Culture“-Verantwortlichen unzählige Ideen, geboren aus Empathie, und bilden einen soliden Grundstein für ein Reshaping von Architekturen, interner Services, Channels, Storys und Rituale.

Und ja, die Arbeit mit Personas macht Spaß.

Fotos: Flickr (3), Unsplash

Kommentare an: Personas: Vis-à-vis „aus Fleisch und Blut“

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